11 Externe, vergleichende Verfahren; Benchmarking

Letztlich ausgelöst durch vorgeblich schlecht erbrachte ärztliche Leistungen in der Peri-/Neonatologie sowie in der Chirurgie startete die (Münchener) Ärzteschaft - übrigens unter nachhaltiger Beteilung von Belegärzten - in den 1970er Jahren die Peri-/Neonatal-Studie, in Baden-Württemberg innovative Chirurgen Erhebungen zur Qualitätssicherung - Letztere nach dem so genannten Tracer-Konzept. Jenes Tracer-Konzept fokussiert(e) auf die Leit-Diagnosen Herniotomie, Cholezystektomie, Osteosynthese von Oberschenkelhalsfrakturen, mit denen Mitte der 1970er Jahre die Versorgungsqualität von etwa 40% der stationären Patienten erfasst werden konnte.

In den folgenden Jahrzehnten wurden die Erhebungen umfangreicher, auch sektorübergreifend, die Systematiken komplexer.

Seit Mitte der 1990er Jahre haben die so genannten QS-Projektgeschäftsstellen teils von Kassenärztlichen Vereinigungen einerseits, im Wesentlichen von Landesärztekammern und/oder Landeskrankenhausgesellschaften andererseits vergleichende Darstellungen von Leistungsprofilen angeboten.

Seit 2001 bietet die BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH Qualitäts-Reports an sowie - gem. § 137 SGB V - seit 2005 Interessengemeinschaften von (teils gesetzlichen und privaten [!]) Krankenversicherungen Qualitätsberichte an, die nach Inhalt und Struktur auf Veranlassung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ab 2007 zu verbessern sind.

Grundsätzlich sind gemäß § 137 SGB V im Abstand von 2 Jahren strukturierte Qualitätsberichte zugelassener Krankenhäuser zu veröffentlichen.

Bei der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH (BQS) steht aufgrund der Änderung von Rechtsgrundlagen durch das Bundesministerium für Gesundheit ab 2007 eine so genannte Transformation der Organisationsstruktur, vermutlich auch der Aufgaben, an - wobei die Details des Zusammenwirkens der beteiligten Strukturen (Gemeinsamer Bundesausschuss, Selbstverwaltungspartner).

Entsprechend § 136 SGB V sind die Ziele und Ergebnisse von QS-Maßnahmen von den Kassenärztlichen Vereinigungen zu dokumentieren und jährlich zu veröffentlichen.

Die vergleichenden qualitätssichernden Aktivitäten finden in der Regel nach folgenden Schritten statt (modifiziert nach [12]):

  • systematisches und standardisiertes Erheben von konsentiert qualitätsrelevanten Informationen mittels Dokumentationsbogen oder Computer in der Institution (Fachabteilung/Krankenhaus/Praxis/MVZ), ggf. Nutzen bereits erhobener Daten für Zwecke der QS,
  • Zusammenführen der Datenträger, zunächst in der Institution und dann in einer externen Organisationszentrale,
  • abschließende Datenkontrolle (die erste Daten-Ausgangskontrolle findet bereits in der dokumentierenden Institution statt),
  • Berechnen der statistischen Indikatoren für die Prozess- und Ergebnisqualität in der Organisationszentrale,
  • aggregierte, ggf. anonymisierte Darstellung von Vergleichen zwischen den Institutionen,
  • Rückmeldung der Ausprägungen der Qualitätsindikatoren und der Vergleichsergebnisse an die Institutionen zur Selbst- und/oder anonym an andere zur Fremdprüfung.

Idealtypischerweise wird den datenübermittelnden Institutionen von den Organisationszentralen eine Informationspyramide zur Verfügung gestellt, an deren Spitze - hoch aggregiert und auf die wichtigsten Qualitätsindikatoren fokussiert - die Institutionsvergleiche oder -profile stehen, die den Teilnehmern auf einen Blick einen graphischen Vergleich der eigenen Position mit den anonymen Ergebnissen aller anderen Teilnehmer oder gegenüber den von einer Expertengruppe definierten Referenzbereichen bieten (siehe auch Kapitel 11.3.4) [3].

Die Kenntnis der eigenen Position gibt den Leistungserbringern ein Signal, den Ursachen einer unerwünschten negativen Abweichung nachzugehen (nicht jede negative Abweichung steht automatisch für ein Versorgungsdefizit) oder aber mit der erreichten Qualität - gemessen an dem gewählten Indikator - zufrieden zu sein.

Auch externe Fachleute können in Grenzen die Position einer Institution interpretieren, wobei ihnen allerdings in der Regel die Möglichkeit fehlt, anhand zusätzlicher institutionsinterner Informationen echte Ursachenforschung zu betreiben.

Zum operationalen Vergleich der Qualität verschiedener Einrichtungen miteinander sind geeignete Qualitätsindikatoren unentbehrlich (siehe Kapitel 8).

Ein Vergleich der Ausprägungen von Qualitätsindikatoren zwischen den Institutionen erlaubt zudem Rückschlüsse auch auf die Wertigkeit verschiedener Qualitätsindikatoren.

Zur Beurteilung, ob die beobachteten Unterschiede für die Patientenversorgung relevant sind, bedarf es jedoch der Referenzbereiche, die jene Ausprägungen von Qualitätsindikatoren umfassen, die in vergleichbaren (Referenz-)Situationen mit unauffälliger bzw. guter Qualität in Verbindung gebracht werden können.

Die Techniken der vergleichenden Qualitätssicherung beinhalten eine Reihe zu bewältigender Herausforderungen:

  • Die Auswahl der Versorgungssituationen, in denen externe Vergleiche durchgeführt werden, muss nachvollziehbar sein.
  • Die Zahl der Qualitätsindikatoren und der zu ihrer Interpretation benötigten erklärenden Variablen muss überschaubar sein, d. h., nur die wichtigsten pro Versorgungssituation sind auszuwählen.
  • Die Qualitätsindikatoren müssen die im Kapitel "Messgrößen" bereits angesprochenen Anforderungen erfüllen.
  • Die Daten müssen in einer guten Datenqualität vorliegen. Je nach Konsequenzen aus den Vergleichen ist u. U. - wie bei guten klinischen Studien - ein externes Datenmonitoring vorzusehen. Um die Datenqualität zu verbessern und Erhebungskosten zu sparen, sollte die Erfassung der Daten immer mehreren Zielen dienen.
  • Durch die Art der Darstellung der institutionseigenen Werte, der Verteilung der Werte aller Institutionen oder der Referenzbereiche können unterschiedliche - auch kontraproduktive - Impulse zur Qualitätsverbesserung gesetzt werden. Benchmarking steht für Orientierung an den Besten. Vor einem reinen Suchen nach negativen Ausreißern ist zu warnen.
  • Die Referenzbereiche der Qualitätsindikatoren müssen so gewählt werden, dass nicht zu viele Fehlalarme erfolgen bzw. berechtigte Alarme unterbleiben. Eine Orientierung an Mittelwerten führt zum Mittelmaß und widerspricht den Zielen des modernen Qualitätsmanagements.
  • Die Vergleichbarkeit der Patientenklientel der zu vergleichenden Institutionen muss gegeben sein. Eine gewisse Vergleichbarkeit lässt sich nachträglich entweder durch die Auswahl von Institutionen mit ähnlichem "Patientenmix", durch die Auswahl homogener Patientengruppen in Institutionen oder durch eine Patientenmixanpassung mittels indirekter Standardisierung oder logistischer Regression herstellen. Allerdings wird dies nie perfekt gelingen.
  • Qualitätsindikatoren auf der Basis kleiner Patientenzahlen zeigen große zufallsbedingte Variationen (große Konfidenzintervalle). Einrichtungen mit wenigen Patienten entziehen sich damit oft ungewollt einer statistischen Bewertung der Qualität. Für sie muss auf andere Verfahren der Qualitätssicherung zurückgegriffen werden.
Der kompetenten und korrekten Interpretation der kumulierten Ergebnisse durch qualifizierte Personen kommt im Interesse einer bestmöglichen Patientenversorgung und Mitarbeitereinbeziehung eine besondere Bedeutung zu.

Die Begrifflichkeit "Benchmarking" wird entsprechend aktuell vergleichender Literatur- sowie Website-Durchsicht ausgesprochen "heterogen" inhaltlich belegt und somit auch verwendet.

Speziell beim hier gegeben Bezug zum Qualitätsmanagement erscheint deswegen eine Begriffsdefinition und Kommentierung zu "Benchmarking" wichtig:

Aus dem Glossar des Curriculums Qualitätssicherung/Ärztliches Qualitätsmanagement der Bundesärztekammer (2006) [3]:

"Benchmarking ist der Prozess, Produkte, Dienstleistungen und Praktiken gegen den stärksten Mitbewerber oder die Firmen, die als Industrieführer angesehen werden, zu messen. Ansatzpunkte zu Benchmarking können Prozesse, Systeme, Produkte und Dienstleistungen bezüglich Kosten, Qualität, Zeit, Kunden-, Mitarbeiter-Zufriedenheit etc. sein." [2]

Benchmarking ist damit ein Konzept zum Vergleich bestimmter Kennzahlen mit den Besten der jeweiligen Klasse (Benchmark = Höhenmarke) sowie auch zum Streben nach Exzellenz. Benchmarking heißt letztlich auch: "Lernen von den Besten"!

Nebenbefundlich sei noch die Herkunft der Begrifflichkeit erwähnt:

Das Wort "Benchmarking" hat seinen Ursprung in der Holzbearbeitung. Ein Schreiner bzw. Tischler hat früher eine Markierung (mark) an seiner Werkbank (bench) angebracht. Mit diesem Maß konnte sichergestellt werden, dass z. B. beim Anfertigen von Stuhlbeinen alle Beine gleich lang wurden. Dazu legte man einfach ein Stück Holz bündig an der Markierung an und schnitt es an der Kante der Werkbank ab. Heute hat sich der Begriff "Benchmarking" in vielen Bereichen etabliert [16].

11.1 Vergleichende Qualitätssicherung in der ambulanten, vertragsärztlichen Versorgung

Maßnahmen der vergleichenden Qualitätssicherung werden in der ambulanten Versorgung schon seit mehreren Jahren verfolgt, ihre Bedeutung war jedoch bislang der Entwicklung von Struktur- und Prozessanforderungen nachgeordnet. Initiativen der vergleichenden Qualitätssicherung wurden häufig regional (über Kassenärztliche Vereinigungen, Landesärztekammern) oder auch durch Fachgruppen (z. B. Hausärzte, Kardiologen, Gastroenterologen, Arthroskopeure) selbst initiiert und zeigen, dass es nicht immer einer bundesweit vereinheitlichten Struktur bedarf, um dieses Instrument der Qualitätsförderung zum Einsatz zu bringen. Zunehmend jedoch rückt dieses Instrument auch in die Aufmerksamkeit der Steuerungsgremien der gemeinsamen Selbstverwaltung und des Gesetzgebers, der im Rahmen der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung einheitliche Datenerhebungen verwirklicht sehen möchte. Für den ambulanten Bereich wurde mit der Qualitätssicherung Dialyse des G-BA ein erstes Projekt zur flächendeckenden Einbeziehung aller Dialyseeinrichtungen, die GKV-Patienten behandeln, im Jahre 2006 gestartet. Künftig ist vorgesehen, über den Gemeinsamen Bundesausschuss Qualitätsindikatoren zum Zwecke des Benchmarking zu entwickeln und bundesweit über ein beauftragtes Institut erheben zu lassen. Schon seit Beginn der Disease-Management-Programme war das Benchmarking von Qualitätsindikatoren Bestandteil des Maßnahmenpakets zur Qualitätsförderung. Dieses Benchmarking erstreckt sich bislang auf die Bereiche Diabetes mellitus Typ 1 und 2, Asthma bronchiale/COPD, koronare Herzkrankheit sowie Brustkrebs. In diesen Bereichen wurde Neuland insofern beschritten, als die vergleichende Qualitätssicherung des stationären Sektors sich bislang schwerpunktmäßig auf den operativen Teil des Leistungsgeschehens in Krankenhäusern konzentriert und längsschnittliche, patientenbezogene Benchmarkprojekte, wie sie in der ambulanten Versorgung insbesondere bei der Betreuung chronisch Kranker erforderlich wären, noch nicht entwickelt wurden.

Festzustellen ist in diesem Zusammenhang ein Trend, die Ergebnisse nicht nur als Element des einrichtungsinternen Qualitätsmanagements, sondern auch zur Sanktionierung von vermeintlich schlechter Qualität heranzuziehen. Inwieweit das Instrument der vergleichenden Qualitätssicherung unter diesen Umständen noch den Zielen der kontinuierlichen Qualitätsförderung dienen kann, darf hinterfragt werden.

11.2 Verbesserungspotenziale bei der vergleichenden Qualitätssicherung

Ergänzend zur immer wieder wesentlichen Antwort auf die Frage nach der Wahl des wirklich geeigneten statistischen Erhebungs- und Auswerteverfahrens gibt es Verbesserungspotenziale der vergleichenden Qualitätssicherung, u. a. in den Bereichen

  • der sektorübergreifenden Bewertung von Versorgungsleistungen - die dem Vernehmen nach - unter Berücksichtigung einschlägiger Regelungen des Datenschutzes realisierbar werden sollen,
  • der Einbettung der Ergebnisse der "externen Qualitätssicherung" verschiedenen QM-Darlegungs- sowie Zertifizierungsverfahren (siehe Kapitel 12),
  • des Nachweises der Effizienz,
  • der wirklichen Transparenz der veröffentlichten Ergebnisse für unterschiedlichste Nutzerkreise (verschiedene Arzt-Gruppen, Patienten, verschiedene Versicherer, weitere Beteiligte an der Gesundheitsversorgung),
  • der validen und reliablen Erweiterung von Qualitätsindikatoren [10].

11.3 Aktuelle Projekte

11.3.1 Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien

Grundlage für die Qualitätssicherung bei der Erbringung von Laborleistungen in Klinik und Praxis sind Eichgesetz, Eichordnung sowie die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien. Nach diesen Richtlinien ist jeder für ein medizinisches Laboratorium verantwortliche Arzt, der quantitative Laboratoriumsuntersuchungen durchführt, verpflichtet, eine Qualitätskontrolle entsprechend den Richtlinien der Bundesärztekammer zu gewährleisten.

Die interne Qualitätssicherung im Labor dient der fortlaufenden Überwachung der analytischen Arbeiten und der Überprüfung des Analysesystems. Für die im Rahmen der laborinternen Qualitätskontrolle gewonnenen Messergebnisse besteht eine Dokumentationspflicht. Die Aufzeichnungen sind über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren aufzubewahren.

Die externe Qualitätssicherung (Ringversuche) ergänzt die internen Maßnahmen und dient zugleich der Objektivierung der Zuverlässigkeit der einzelnen medizinischen Laboratorien sowie der Prüfung und Vergleichbarkeit der Ergebnisse verschiedener Laboratorien. Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer ist jährlich mindestens eine zweimalige Teilnahme an Ringversuchen - als eine "einfache, grundlegende" vergleichende Maßnahme - nachzuweisen. Auch diese Unterlagen sind für die Dauer von fünf Jahren aufzubewahren.

Die Eichbehörden prüfen im Rahmen ihrer Kompetenzen punktuell einzelne Laboratorien auf die Einhaltung der in den Richtlinien der Bundesärztekammer geforderten Maßnahmen.

Allerdings stellen die Ringversuche nach Expertenmeinung eine im Prinzip leicht zu erfüllende Mindestanforderung dar. Empfohlen wird eine deutlich größere Zahl von QM-Maßnahmen [13].

11.3.2 Pharmakotherapie in Qualitätszirkeln der vertragsärztlichen Versorgung

Die Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für Verfahren zur Qualitätssicherung gemäß § 75 Abs. 7 SGB V definieren Qualitätszirkel als ein Verfahren der Qualitätssicherung in der vertragsärztlichen Versorgung. Qualitätszirkel haben sich als Methode der systematischen Qualitätsverbesserung auf der Grundlage eines kollegialen Diskurses erfolgreich etabliert. Aktuell arbeiten Vertragsärzte und -psychotherapeuten bundesweit in ca. 8000 Qualitätszirkeln zusammen, ein nicht unwesentlicher Teil dieser QZ befasst sich punktuell oder ausschließlich mit dem Thema Pharmakotherapie. Mit dem Ziel, die Gründung weiterer Pharmakotherapiezirkel zu unterstützen, die Arbeit bestehender Zirkel zu vereinheitlichen und deren Vernetzung zu fördern, hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung gemeinsam mit Ärzten und externen Wissenschaftlern eine Qualitätszirkeldramaturgie "Pharmakotherapie" erarbeitet. Diese sieht vor, dass die Qualitätszirkelteilnehmer regelmäßig auf freiwilliger Basis in einen strukturierten Erfahrungsaustausch über ihr Verordnungsverhalten eintreten (Benchmarking). Voraussetzung für einen Pharmakotherapie-Zirkel ist dabei ein bestehendes Berichtssystem, das zeitnah Daten zum aktuellen Verordnungsverhalten der Qualitätszirkelteilnehmer liefert und diese mit ausgewählten Indikatoren einer leitlinien- und evidenzbasierten Medizin vergleicht. Die Themenwahl kann anhand der Relevanz der jeweiligen Erkrankung für das Leistungsspektrum der beteiligten Praxen, qualitativer Defizite in der Versorgung, der Kostenintensität der Verordnungen oder aktueller Anlässe (z. B. Therapiekonzepte) erfolgen. Auf der Grundlage ausgewählter Leitlinien erarbeiten sich die Zirkelteilnehmer zunächst einen Konsens zum korrekten bzw. erwünschten Verordnungsverhalten und legen Indikatoren für die Beurteilung der Qualitätsverbesserung fest. Anschließend wird der gefundene Konsens mit dem tatsächlichen Verordnungsverhalten der Teilnehmer verglichen. Das so ermittelte "performance gap" ist Ausgangspunkt gemeinsamer Überlegungen zur Verbesserung des Verordnungsverhaltens nach Qualitäts- und/oder Kostengesichtspunkten. Die gemeinsam entwickelten Lösungsansätze werden schriftlich fixiert und in definierten Zeitintervallen evaluiert. Im Ergebnis sind die Qualitätszirkelteilnehmer befähigt, das eigene Verordnungsverhalten im Sinne eines leitlinienbasierten und kostenorientierten Verhaltens zu reflektieren und zu modifizieren.

11.3.3 Benchmarking bei der Arzneimittelverordnung

Regionale und internationale Vergleiche zu Umfang und Art des Arzneimittelverbrauchs stellen historisch den Ausgangspunkt der Arzneimittelverbrauchsforschung in Europa dar - einem vergleichsweise jungem Wissenschaftsgebiet, das mit der raschen Vergrößerung des Arzneimittelmarktes seit den 50er Jahren, den steigenden Arzneimittelkosten und nicht zuletzt durch einige Arzneimittelkatastrophen (Stichwort: Thalidomid) an Bedeutung gewann [4; 6]. Durch eine 1969 bei der WHO angesiedelte Arbeitsgruppe - der Drug Utilisation Research Group - wurden methodische Standards und Instrumente wie die Anatomisch-Therapeutische Chemische (ATC-) Klassifikation und die Defined Daily Dose (DDD; Letzteres als Messgröße für den Verbrauch) entwickelt.

Ziel der Analysen ist es einerseits, den Verbrauch mittels deskriptiver Statistik zu beschreiben, sowie andererseits Determinanten für den Verbrauch zu erkennen und Verbrauchsmuster zu erklären. Analysen dieser Art haben auch eine Steuerungsfunktion. Damit verbunden ist in der Regel eine Bewertung des Arzneimittelverbrauchs - sei es hinsichtlich der Produktauswahl (rational, evidenzbasiert, wirtschaftlich) oder hinsichtlich des (vermuteten oder bekannten) Bedarfs (Stichwort: Über-, Unter-, Fehlversorgung). Mit dem 1980 begonnenen GKV-Arzneimittelindex und dem darauf beruhenden und seit 1985 jährlich erscheinenden Arzneiverordnungs-Report (s. Schwabe/Paffrath) liegt ein Monitoringinstrument vor, mit dessen Hilfe zeitliche Trends in Bezug auf den Pro-Kopf-Verbrauch und die Kosten der zu Lasten der GKV-verordneten Arzneimittel sowohl allgemein als auch nach einzelnen Wirkstoffen differenziert, dargestellt werden. In den letzten Jahren sind weitere Reporte einzelner Krankenkassen erschienen, die u. a. die Verbrauchsentwicklung im Arzneimittelsektor auch vor dem Hintergrund gesundheitspolitischer Maßnahmen (s. beispielsweise [7]) betrachten. Für Studien, die nach Erklärungen für die Art und Weise der Arzneimittelverbrauchs (z. B. regionale, nationale Unterschiede) suchen oder den Nutzen medikamentöser Therapien untersuchen wollen, bedarf es jedoch sektorübergreifender und vor allen Dingen versichertenbezogen erhobener Daten [8; 9].

Ein wichtiges Anwendungsfeld des Benchmarking im Arzneimittelsektor ist die Arztberatung über das individuelle Verordnungsverhalten. Kommentierte Verordnungsanalysen (im angloamerikanische Drug Utilisation Review genannt) werden seit Beginn der 1990er Jahren sowohl in der individuellen Arztberatung durch Krankenkassen als auch im Rahmen von Pharmakotherapiezirkeln eingesetzt werden. In der Praxis ist es für den einzelnen Arzt oftmals schwierig, sich über seine Verordnungsweise einen Überblick zu verschaffen. Erfahrungen zeigen, dass außerdem häufig eine Diskrepanz besteht zwischen dem realen Verordnungsverhalten und der eigenen Meinung und Vorstellung darüber. Man spricht hier vom so genannten performance gap, der ein Erkennen des eigenen problematischen Verordnungsverhaltens verhindert. Hinzu kommt, dass das klinisch-pharmakologische Wissen häufig deutlich besser ist als die Verordnungsstatistiken dies vermuten lassen, da in der alltäglichen Verordnungsroutine noch zahlreiche andere Faktoren Einfluss auf eine Entscheidung für eine Verordnung und für ein bestimmtes Präparat nehmen.

Bei einer Verordnungsanalyse handelt es sich um eine deskriptive statistische Analyse der Verordnungen eines bestimmten Zeitraumes (z. B. Quartal), bei der das Verordnungsverhalten eines einzelnen Arztes - anonymisiert - im Vergleich zu Kollegen in einem Qualitätszirkel und/oder zu einer definierten Gruppe (z. B. Facharztgruppe, Leitliniengruppe) dargestellt wird. Eine Verordnungsanalyse zeigt den Ärzten beispielsweise

  • ihr persönliches Arzneimittelspektrum,
  • den Anteil der Arzneimittelempfänger mit einer bestimmten Indikations- oder Wirkstoffgruppe,
  • das Verordnungsverhalten in Bezug auf Empfehlungen evidenzbasierter Leitlinien,
  • die Verordnung problematischer Arzneimittel oder problematischer Kombinationen,
  • Angaben zum Generikaanteil, zur Verordnung von Innovationen und Analogpräparate,
  • Angaben zur Anzahl der verordneten Tagesdosen und Kosten der Arzneimittel je Patient bzw. DDD.

Der Benchmark - das heißt die idealiter zu erreichende Zielgröße (Referenzwert) - kann entweder, sofern verfügbar, aus evidenzbasierten Therapieempfehlungen abgeschätzt oder über "best practice" - orientiert an den Praxen, die den besten Wert erreichen -, ermittelt werden. In einigen Pharmakotherapiezirkeln in Hessen dient eine Gruppe von Ärzten, die seit Jahren mit der Entwicklung hausärztlicher Leitlinien befasst ist, als Vergleichsgruppe.

Bei Zustimmung der teilnehmenden Ärzte können die Arzneimitteldaten auch mit den ärztlichen Diagnosen verknüpft werden. Dies ermöglicht eine Erweiterung der in der Verordnungsanalyse genutzten Indikatoren. Folgende Indikatoren kommen i. d. R. zur Anwendung:

  • Indikatoren zur Qualität der Arzneimittelauswahl beziehen sich beispielsweise auf die in den Leitlinien empfohlenen sowie als riskant beschriebenen Wirkstoffe. Für Arzneimittel erster Wahl wird für die Kennziffer ein hoher Prozentsatz angestrebt. Hingegen sollte sie bei dem Indikator "Risikoarzneimittel" oder "umstrittene Arzneimittel" niedrig liegen.
  • Indikatoren zur Qualität der Therapie zeigen den Umsetzungsgrad der Leitlinienempfehlungen in Bezug auf die Indikationsstellung (z. B. bei Lipidsenker- oder Enzymverordnung), Therapieschemata (z. B. ACE-Hemmerbehandlung bei Herzinsuffizienz) und Art der Arzneitherapie (Berücksichtigung von Begleiterkrankungen bei der Arzneimittelauswahl). Hier sollte der Kennzifferwert hoch liegen.

Verordnungsanalysen können den Ärzten zugesandt oder bei einer Einzelberatung erläutert werden; idealerweise werden sie in Qualitätszirkeln zusammen mit den aktuellen Therapieempfehlungen diskutiert. Zur Unterstützung der Ärzte in ihrem Bemühen um eine rationale und wirtschaftliche Arzneitherapie wurden in Hessen ab Mitte der 90er Jahre flächendeckend datengestützte, d. h. mit Verordnungsanalyse als Feed-back arbeitende, Pharmakotherapiezirkel angeboten und durch verschiedene Evaluationen der Erfolg dieser Fortbildungsmaßnahme nachgewiesen [1; 5; 14; 15]. Mit dem Ansatz "Feedback und Evaluation" stellen die Pharmakotherapiezirkel einen zentralen Baustein der ärztlichen Qualitätssicherung dar.

11.3.4 Benchmarking - Beispiele regionaler Aktivitäten

Wenn es auch seit Anfang 2007 in der vertragsärztlichen Versorgung, in unterschiedlich großen Praxen, in medizinischen Versorgungszentren, aus den unterschiedlichsten eigen- oder fremdgesteuerten Gründen um eine Vielzahl von Vorgehensweisen zur Verbesserung von Abläufen und/oder der Qualität der medizinischen Versorgung geht, so findet sich doch nach wie vor noch nur eine relativ geringe Zahl an Pilot-Projekten oder Routine-Verfahren, die sich dem Benchmarking im - o. g. engeren Sinne - widmen:

Basierend auf einer eindeutigen Regelungsgrundlage ist hier sicherlich an erster Stelle das Routine-Benchmarking-Verfahren für die Dialyse gemäß Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 18. April 2006, in Kraft getreten am 24. Juni 2006, zu nennen sowie die Disease-Management-Programme, erlassen durch Rechtsverordnungen des Bundesministeriums für Gesundheit, sowie des Weiteren

  • das Pilot-Benchmarking-Projekt zur Frage, ob offenes Benchmarking in feedback-gestützten Qualitätszirkeln zu besseren Versorgungsergebnissen führt - mit dem klaren Ziel der Implementierung in die Routineversorgung; Leitung: Prof. Dr. J. Szecsenyi, Uniklinik Heidelberg,
  • die Studie "Benchmarking von Arzneimittelausgaben: Systematische Darstellung und Quantifizierung verzerrender Einflussfaktoren" aus dem Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH, Berlin, 2002 - mit u. a. dem Ergebnis, dass ausgeprägte regionale Unterschiede bei Einflussfaktoren bestehen, die unabhängig vom ärztlichen Verordnungsverhalten zu Differenzen in den regionalen Pro-Kopf-Ausgaben bei Arzneimitteln führen,
  • Förderschwerpunkt "Benchmarking in der Patientenversorgung" des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) im Rahmen des Modellprogramms zur Förderung der medizinischen Qualitätssicherung. Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) hatte bereits im Jahr 2002 den Förderschwerpunkt "Benchmarking in der Patientenversorgung" ausgeschrieben. Die ersten der insgesamt zehn Projekte nehmen jetzt ihre Arbeit auf. Das Ministerium stellt hierzu für drei Jahre 3 Millionen Euro zur Verfügung. Ziel des Modellvorhabens ist es, innovative Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungsqualität modellhaft zu entwickeln und zu erproben, darunter auch Themen der ambulanten Versorgung, u. a.
  • Führt die Implementierung von Benchmarking in feedback-gestützten Qualitätszirkeln zur Verbesserung der Verordnungsqualität bei Arzneimittelinteraktionen und Asthma bronchiale? (Universitätsklinikum Heidelberg).
  • QuIK-Register in der invasiven Kardiologie. Seit Mitte der Neunziger Jahre geben Mitglieder des Berufsverbands niedergelassener Kardiologen (BNK) in einer Berufsgruppeninitiative ohne Einsatz von Fremdfinanzierung oder Sponsoren Daten über Indikations-, Prozess- und Ergebnisqualität von diagnostischen und therapeutischen Herzkatheterverfahren in ein Register ein. Während 1995 nur sechs Praxen bundesweit am QuIK-Register (Qualitätssicherung in der Invasiv-Kardiologie) beteiligt waren, hat die Teilnehmerzahl bis 2006 auf 120 Institutionen zugenommen, was einem Organisationsgrad von über 90% entspricht. Jährlich werden ca. 100 000 Datensätze (75% diagnostische, 25% therapeutische vergleichende Verfahren dokumentiert und in der Projektgeschäftsstelle statistisch ausgewertet. Danach erhalten die Teilnehmer ihre Daten und die Daten der Gesamtgruppe zurück. Im Bereich der KV Hessen ist die Teilnahme am QuIK-Register Voraussetzung für die Vergütung. 
    Seit 1999 findet ein freiwilliger Auditingprozess statt, dem sich mittlerweile über 80% der Teilnehmer unterziehen. Dabei werden vor Ort sowohl die Vollständigkeit aller abgelieferter Untersuchungen überprüft als auch Stichproben und insbesondere auch alle gemeldeten schwerwiegendere Komplikationen. Seit 2001 wird die erfolgreiche Teilnahme am "Monitoring" auch zertifiziert, so dass insbesondere im Hinblick auf die Datenvalidität neue Standards etabliert werden konnten. Das QuIK-Register liefert somit Hinweise auf die hohe Indikations-, Prozess- und Ergebnisqualität im Bereich der niedergelassenen Kardiologen [11].
  • QUALIS ist ein vom Bundesverband für ambulante Arthroskopie e. V. (BVASK) entwickeltes und eingesetztes Dokumentationssystem zur Erfassung von orthopädischen/arthroskopischen Operationen. Mittels eines Benchmarkverfahrens können die OP-Ergebnisse Einzelner mit den Ergebnissen des Gesamtkollektivs verglichen und im Verhältnis zum "Besten" und zum Durchschnitt gemessen werden. Das QUALIS System umfasst: 
    • die strukturierte Befunderfassung vor der Operation
    • einheitliche Kriterien zur Indikationsstellung für Operationen
    • strukturierte Erfassung der einzelnen Operationsschritte
    • strukturierte Erfassung der intraoperativen und postoperativen Komplikationen
    • Messung von Ergebnisqualitätsparametern mittels Patientenfragebögen, wie z. B. Fragen nach Befinden und Verlauf nach der Operation, Beurteilung der Behandlung, Erfassung von Arbeitsunfähigkeitszeiten

Das System erlaubt eine zeitgleiche Dateneingabe bei der jeweiligen Operation und ermöglicht weiterhin eine automatisierte Erstellung von Arztbriefen und OPBerichten. Derzeit (Stand: Juni 2006) arbeiten 58 Ärzte mit Qualis, von 2002 bis 2006 wurden insgesamt 30 000 Operationen dokumentiert.

Literatur

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  2. Bastek A, Eckardt J, Fischer B (2003) Begriffe und Konzepte des Qualitätsmanagements. 2. Aufl., Urban und Fischer, Jena
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  16. Wikipedia, Benchmarking
    Details (18.07.08)
  17. Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) (2004) Einführung in die Arzneimittelverbrauchsforschung. Autorisierte deutsche Übersetzung der Publikation. Introduction to Drug Utilization Research der World Health Organization 2003. WIdO, Bonn
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zuletzt verändert: 12.06.2023 | 14:41 Uhr